Kalkutta

Roman

Aus dem Französischen von Lena Müller

Deutsche Erstausgabe
Gebunden mit Schutzumschlag, 192 Seiten

Erschienen August 2016

19,90 

In ihrer unnachahmlich poetischen Sprache erzählt Sinha von einer verlorenen Kindheit in Indien, zwischen gestern und heute, zwischen der Familien- und der politischen Geschichte.

Nach vielen Jahren in Frankreich kehrt Trisha anlässlich der Einäscherung ihres geliebten Vaters zurück in ihre Geburtsstadt Kalkutta. Im verlassenen Haus der Familie, in dem sie aufgewachsen ist, schicken die Möbel und vertrauten Gegenstände aus alten Tagen ihre Gedanken auf eine Zeitreise in die Vergangenheit. Da ist zum Beispiel die rote Steppdecke, die sie nicht nur an die Hausierer erinnert, die solche Decken anfertigten, sondern auch daran, wie sie eines Nachts ihren Vater dabei beobachtete, wie er in ebendieser aufgerollten Decke einen Revolver versteckte. Oder das kleine Fläschchen mit Hibiskusöl, mit dem man ihrer Mutter Urmila die Kopfhaut massierte, wenn diese wieder einmal von schwerer Melancholie überwältigt wurde. Indem Trisha sich in die Kratzer und Risse dieser Objekte, der Möbel, des Hauses versenkt, ersteht die Vergangenheit mehrerer Generationen einer Familie wieder auf, und damit auch die kollektive, politische Vergangenheit Westbengalens – von der britischen Kolonialzeit bis zur jahrzehntelangen kommunistischen Regierung seit den späten 1970er Jahren.

Buchinfos

Gebunden mit Schutzumschlag, 192 Seiten

Autorin

Shumona Sinha © Patrice Normand

Shumona Sinha © Patrice Normand

Shumona Sinha, geboren 1973 in Kalkutta, lebt seit 2001 in Paris und studierte Literaturwissenschaft an der Sorbonne; ab 2009 war sie als Dolmetscherin für Asylsuchende tätig. Nach der Veröffentlichung von »Erschlagt die Armen!« 2011 (dt. 2015) verlor sie ihre Arbeit bei der französischen Migrationsbehörde, der Roman wurde mit vielen Literaturpreisen ausgezeichnet, die deutsche Ausgabe mit dem Internationalen Literaturpreis 2016. Ihr dritter Roman »Kalkutta« (dt. 2016) wurde ebenfalls vielfach ausgezeichnet.

Pressestimmen

»Ihr Roman ist nicht nur vom Glauben an die Macht der Sprache getragen, sondern auch von dem an die Erzählbarkeit von Geschichte, und das sogar im Schnelldurchlauf. Genau dieses Selbstbewusstsein, das so ganz und gar im Gegensatz steht zur begründeten Skepsis der Moderne, gibt ihrem Buch eine unheimliche Note. Freilich aber auch seine Kraft.« Insa Wilke, Deutschlandfunk

Leseprobe

»Ein nostalgisches und zärtliches Buch über die Kindheit, die Familie und die Erinnerung, in einer farbigen, duftenden poetischen Sprache.«
Le Nouvel Observateur

Als sie die Treppe hinaufsteigt, kann Trisha durch die Fensterläden die Wände der Nachbarn sehen, auf denen die politischen Parolen noch dieselben sind: dasselbe Rot und Schwarz, dieselben Hämmer und Sicheln, der Stern, Schicht für Schicht, unter dem Kalk dieselbe Wut, die seit Jahrzehnten schlummernde Wut quillt unter dem Kalk hervor und lässt die Schriftzüge leuchten.
Im zweiten Stock also ein zur Treppe hin offener Raum, eine Galerie. Auf dem Mäuerchen, das sie zur Treppe begrenzt, liegen dicht an dicht alte Wolldecken, Daunendecken, eine magere Nackenrolle, verstaubt und mit Spinnweben überzogen. Ihre Eltern hatten eine neue Wohnung bauen lassen und sie auf Hochglanz gebracht, während alles andere vergilbte und verstaubte. Trisha findet die Bettdecke. Sie weiß, welches Geheimnis sich in ihrem wattierten Bauch versteckt. Sie zieht sie aus dem Stapel. Der Staub wirbelt nicht besonders hoch auf, brennt ihr in den Augen. Sie berührt die rau gewordene Haut von Papas Decke, wie sie sie früher nannte. Das Rot breitet sich vor ihren Augen aus. Alt. Verblasst. Schmutzig. Man kann die knotige Baumwolle in ihrem Inneren erahnen. Ihr Herz wird plötzlich zu einer Uhr, hängt an den schweren Minuten. Und ihre Erinnerungen brennen wie Kerzen, die man an beiden Seiten angezündet hat.

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Leseprobe

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