Sechzig Lichter

2008 nominiert für:
International IMPAC Dublin Literary Award
Miles Franklin Award
International Orange Prize

Roman

Aus dem Englischen übersetzt von Conny Lösch

Deutsche Erstausgabe
Gebunden mit Schutzumschlag, 224 Seiten

Erschienen Januar 2008

978-3-89401-562-6

19,90 

Titel im Buchhandel vergriffen. Restexemplare beim Verlag erhältlich (Büchersendung, ca. 5 Werktage per Post).

Australien, 19. Jahrhundert: Lucy Strange und ihr Bruder Tom, nach dem Tod ihrer Eltern halb verwildert, werden von ihrem skurrilen Onkel Neville nach England geholt. Als dieser vor dem Ruin steht, sind sie gezwungen zu arbeiten, Tom in einer Laterna-Magica-Schau, Lucy in einer Albumen-Fabrik, die lichtempfindliches Papier herstellt. Ein Ausweg aus diesem viktorianischen Londoner Elend tut sich auf, als Lucy als mögliche Braut Isaac Newtons – so der Name eines alten Freundes ihres Onkels – nach Indien geschickt wird. Doch auf der Schiffsreise dorthin beginnt sie eine folgenreiche Liebschaft mit einem Passagier. Mit ihrem unehelichen Kind fährt sie nach London zurück, wo sie ihren Weg als Fotografin beginnt …
Sechzig Lichter erinnert an ein Fotoalbum: Szenen werden als Spiel von Licht und Schatten, von Farben und Lichteffekten heraufbeschworen, der Zeit entrissene Augenblicke. Gail Jones hat einen unvergleichlichen Blick für Details, ihre Beobachtungen sind voller Lebensweisheit. Es gelingt ihr, die weltumspannende Geschichte von Lucy und ihrer Familie, diese Reisen zwischen Fremdem und Vertrautem, zwischen Verlust und Wiederfinden, zu einem strahlenden Roman zu verbinden. Ein kraftvolles Erzähltalent, das Aufmerksamkeit verdient.

Buchinfos

Deutsche Erstausgabe Gebunden mit Schutzumschlag, 224 Seiten

Autorin

Gail Jones © Jan Schenck

Gail Jones © Jan Schenck

Gail Jones, geb. 1955 in Westaustralien. Hat bisher zwei Erzählungenbände und fünf Romane veröffentlicht. Ihre Bücher sind im englischsprachigen Original mehrfach ausgezeichnet.

Ihr erster Roman, Black Mirror, wurde mit dem ›Nita B. Kibble Award‹ ausgezeichnet. Er war in der engeren Auswahl für den ›IMPAC Award 2004‹ und nominiert für den ›Age Book of the Year Award‹ und den ›Brisbane Courier Mail Book of the Year Award‹. Ihr zweiter Roman Sixty Lights erschien 2004 und war für den ›Booker Prize‹ nominiert.
Perdita, im Original unter dem Titel ›Sorry‹ erschienen, stand 2008 auf der Shortlist des Miles Franklin Award und auf der Longlist des Orange Prize. Die französische Übersetzung wurde für den Prix fémina étrangère nominiert.

Ihren neuesten Roman Ein Samstag in Sydney schrieb sie nach einem erstmals ausgeschriebenen Stadtschreiber-Stipendium in Schanghai.

Derzeit lehrt sie als Professorin für Kreatives Schreiben an der University of Western Sydney und forscht über die sozialen Dimensionen des Lesens und Schreibens.

Pressestimmen

»Eine Familiengeschichte voller verworrener Lebenswege, ….«
Andrea Ritter, stern

»… ein seltsam schönes Buch«
Neues Deutschland Messebeilage

»… Gleicht einem Fotoalbum aus Worten ….«
Conny Gellrich, Junge Welt

»… ein bewundernswerter Beweis für eine genuine literarische Kraft der Erzählung und Menschendarstellung ….«
Wolfram Schütte, Magazin Titel, Literatur und mehr

»… eine ebenso realistische wie fantastische Geisterbeschwörung des britischen Empire ….«
Wolfram Schütte, Deutschlandfunk, Büchermarkt

»… märchenhaft, ein bisschen verschroben, aber vor allem wunderwunderschön.«
Antje Deistler, WDR 2 

»… Öffnet einem die Augen.«
Fuldaer Zeitung

»… 221 Seiten Lesegenuss.«
Kölner Express 

»Spannend und facettenreich ….«
Kristin Bachmann, Neue Westfälische

»… Eine Autorin, die zu entdecken sich lohnt – und das nicht nur für Frauen.«
Katja Weise, NDR Kultur 

»… Verführt … mit poetischer Sprache und eindringlichen Bildern.«
Tatjana Bergold, Borromäusverein Bonn

»… ein Roman über den Glanz, der auf den Dingen liegt, über die Wunder der sichtbaren Welt ….«
Gertrud Lehnert, Deutschlandradio Kultur

»… eine wundersame Weltreise in Bildern.… ein lyrisches Ereignis ….«
Clarissa Lempp, AVIVA-Berlin.de

»… echtes Kino für den Kopf.«
Brigitte 

»… ein bilderüberflutetes, weises Album, voll gespickt mit neuen und vertrauten Szenen, Nähe und Entfremdung von Menschen, Erinnerungen ….«
hamburg: pur 

»… Erhebt auf unkonventionelle Weise die Fotografie zur Kunst, um Menschen und ihre Empfindungen wahrhaftig zu zeigen.«
Sven Ahnert, WDR 3

Leseprobe

»Ich denke an Fotografie als eine Art von Kuss.«

Wie oft spielen wir in jenen kleinen geschenkten oder unglaubwürdigen Momenten das nach, was unsere Eltern wussten oder taten? Wie oft fühlen wir – in einer anderen Generation – das, von dem sie glaubten, es sei ihnen vorbehalten? Mit seinen Spektralfarben ähnelte der Hafen von Bombay dem von Sydney, und Lucy konnte nicht wissen, dass sie die Ankunft erlebte wie ihre Mutter es getan hatte: mit genau derselben Erregung des Geistes, mit demselben schneller werdenden Herzschlag, wie ein kleiner springender Fisch.

Als sie in den Hafen von Bombay einfuhren, standen Lucy und William zusammen an Deck. Es war März und das Licht und die Hitze waren stechend und grell. Lucy setzte ihren Sonnenhut auf und zog den Schleier zu einem schattigen Halbkreis herunter. William blinzelte unbeirrt in die Sonne und stand still. Um das Schiff herum trieben Daus und Fischerboote verschiedenster Sorte, Männer in Lendentüchern lehnten sich gegen Steuerruder oder kümmerten sich um zerschlissene Segel. Hinter ihnen befanden sich größere Schiffe – Handelsschiffe, ein Kanonenschiff, eine Unmenge von britischen Schiffen, die Anspruch auf den Hafen erhoben. Lucy sah Matrosen vieler Nationen und Gruppen von Engländern in Uniform. Da waren zahlreiche Inseln, so schien es, und das Wasser war von einem hervorragenden Indigoblau, ein Blau, das sie später unauslöschlich mit dem hinduistischen Gott Krishna verbinden würde. Auf dem Victoria Dock standen Karren und Diener gehorsamst in Reih und Glied, die Männer trugen rote Turbane und enge Jacken und wirkten in der Sonne wie erstickt. Da waren Frauen in Burkas und Saris und kleine Jungen trugen runde Tragekörbe mit Essen. An einem Ende des Docks war ein vergoldetes Zelt aufgebaut und dort, erkannte Lucy, warteten europäische Frauen zusammengedrängt hinter einer Absperrung und fächerten sich Luft in die erhitzten Gesichter. Vermischte Silben aus den Worten der Frauen trieben über das Wasser. Die Luft war aromatisch: Gewürztes Essen, Kuhmist, Kampfer, Jasmin und Meeresluft wehten von Nariman Point herein und zirkulierten in salzigen Böen durch die Bucht. Lucy atmete tief ein: Sie wollte ihren Körper ganz und gar mit all dem erfüllen, was ihre Sinne ihr boten. Durch ihren Schleier trat Indien ins Dasein.

An der Seite des Docks wartete Isaac Newton geduldig. Lucy trug, wie ihr geheißen, ein pflaumenfarbenes Kleid, damit er sie leicht in der Menge erkennen konnte, doch tatsächlich war sie die einzige allein reisende Frau und daher ohnehin deutlich auszumachen.Sie und William trennten sich mit den knappsten Worten. Lucy spürte den Stich, den jede Geliebte spürt, wenn sie einen Ehemann zu seiner wartenden Familie entlässt und abseits stehen bleibt, selbstgenügsam, unberührt und ungeküsst. Sie ging den wackligen Landesteg hinunter, klammerte sich an das begrenzende Seil und kämpfte gegen einen heftigen Anflug von Schwindel an.

Unter ihr winkte ein recht alt aussehender und schnurrbartloser Herr schüchtern aus der Entfernung. Isaac Newton war mindestens zwanzig Jahre älter, als seine Daguerreotypie hatte vermuten lassen, doch er war zuvorkommend und gab sich Mühe, einen netten Eindruck zu machen. Lucy hob ihren Schleier und musterte ihn insgeheim: Er sah aus wie ein Mann, der seines Lebens müde war. Sein Gesicht war faltig und sein Ausdruck mitgenommen. Seine Bewegungen hatten etwas Erschöpftes und Gleichgültiges und die Welt betrachtete er durch eine verrutschte Hornbrille. Auf der linken Seite ihres Gesichtsfeldes konnte sie sehen, wie William Crowley seine Familie begrüßte: Er hatte eine hübsche, dralle Frau und vier völlig gleich aussehende Töchter, dazu eine riesige Gefolgschaft von Dienern und Gehilfen, Fahrern und Trägern. Er küsste seine Frau auf die Wange und sprach, ohne sich herunterzubeugen, zu seinen kleinen Kindern und begann sofort, Befehle bezüglich seines umfangreichen Gepäcks zu brüllen. Sein Gehabe war brüsk und ungehobelt, und er sah nicht, kein einziges Mal, zu Lucy hinüber. Er hatte sie bereits vergessen.

»Nur ein Gepäckstück?«, erkundigte sich Isaac Newton. Lucy sah, dass er knubbelige, arthritische Hände hatte. Er schien zu zittern. Praktische Fragen erleichterten ihnen beiden das Zusammentreffen. Lucy war aufgeregt, aber müde. Ihr war leicht übel von der Hitze und sie war unsicher, wie sie auf den Herrn an ihrer Seite reagieren sollte. William hob die Stimme: Er schrie jemanden an. Sein Gesicht wirkte überheblich, granithart und unvertraut. Isaac nahm Lucy am Ellenbogen und führte sie zu einer gelben Kutsche. Sie war froh, sich in deren Schatten und hohle Abgeschiedenheit sinken lassen zu können.

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