Wir trauern um Jean-Jacques Volz

Jean-Jacques Volz mit Lutz Schulenburg in Volz’ Atelier in Schaffhausen, 2008. Foto: Hanna Mittelstädt

»Jean-Jacques Volz hat uns verlassen. Wir sind sehr traurig.«
Das teilte die Familie des Schweizer Anarchisten und Holzschneiders zu Beginn des Jahres mit. Er starb am 26. Dezember 2020 im Alter von 92 Jahren. Auch wir vermissen ihn sehr – er war für uns mehr als ein Freund.

Nachruf von Hanna Mittelstädt und Detlef Grumbach

„die üppigkeit einer reduktion ins ganze: die aufdeckende zurückführung des wirklichen zu sich selbst – das ist die schönheit (und auch: der witz im strengen moment).“

Christian Geissler über Jean-Jacques Volz

Mit Lutz Schulenburg und der Edition Nautilus kam Jean-Jacques Volz Anfang der Neunziger über die verlagseigene Zeitschrift „Die Aktion“ zusammen, für deren Ausgaben er im Laufe der Jahre jede Menge Holzschnitte beisteuerte. Der erste Abdruck erfolgte (ganz klein und in schwarz-weiß) im Heft 86/88 im Februar 1992, später entfalteten die Abdrucke eine stärkere Autonomie: in der Ausgabe 206 sind seine Drucke (weiterhin stark verkleinert) das bildnerische Gestaltungselement, und für die Nummern 210 und 216 stellt jeweils ein Holzschnitt das Titelmotiv. In der Nummer 220, die als Nachruf auf Lutz Schulenburg 2013 kurz nach dessen Tod erschien (die letzte Ausgabe der Aktion in gedruckter Form) sind Holzschnitte von Jean-Jacques sowohl das Intro als auch das Outro einer Folge von Erinnerungen an den ehemaligen Herausgeber. Nie hörte man von Jean-Jacques eine Klage über das kleine Format, das grobe Werkdruckpapier und die Reduktion auf den reinen Schwarzdruck der Reproduktionen. Immer freute er sich über die Aufnahme in den größeren Kosmos, der ihm aus Schaffhausen als ein Schritt in die Welt erschien.

Der Kontakt hatte mit der Bestellung eines Förderabonnements 1990 begonnen. Auch dieser erste Brief war, wie alle folgenden, unterzeichnet mit: “Es lebe die Freiheit! Es lebe die Liebe! Es lebe die Poesie!” In den nächsten Jahren besuchte Jean-Jacques den Verlag in Hamburg, wenn er auf dem Weg nach Schweden war, wo er eine Zeit lang ein Atelier hatte. Später besuchten wir Verleger ihn in Schaffhausen in seiner Werkstatt, die wie ein Rudiment aus einer anderen Welt war, die der fast verborgenen, schon fast verschwundenen Holzschneider-Kunst. Die Nautilus-Verleger und Jean-Jacques teilten ihre Begeisterung für die Surrealisten und Situationisten, insbesondere für Asger Jorn und dessen radikale Kunst im Schnittpunkt von Poesie, Volkskunst, Revolution und Farben. Einer der farbigen Holzschnitte, die in der Verlagsbibliothek hängen, ist mit einem Zitat Raoul Vaneigems signiert: “Wer zögert, den Brand, der ihn verzehrt, von sich zu schleudern, dem bleibt nur die Wahl zu verbrennen.” In dieser zarten und stets freundlichen Person Jean-Jacques steckte offenbar ein brennender Kern … Auch ein anarchistisches Großprojekt der Edition Nautilus, die Durruti-Biographie von Abel Paz, unterstützte Jean-Jacques mit einem Holzschnitt, den wir einer “Luxusausgabe” beilegen konnten, die uns half, die immensen Druckkosten zu stemmen.

Auch zwischen Christian Geissler und Jean-Jacques Volz, beide Jahrgang 1928, hatte sich eine enge Freundschaft und Zusammenarbeit entwickelt. Zwei bibliophile Bücher sind dabei entstanden – Gedichte Christian Geisslers mit Holzschnitten von Jean-Jacques Volz: „Schwarzdeutsch“ (2006) und „aus den klopfzeichen des kammersängers“ (2008). Nach dem Tod Christian Geisslers im Jahr 2008 kam Jean-Jacques weiter in die Böckmannstraße, wenn er bei der Edition Nautilus in Hamburg war. Am Küchentisch von Sabine Peters entstand bei einem solchen Besuch die Idee, jeweils eine Vorzugsausgaben mit Originalgrafiken eines Künstlers zu den Neuausgaben von Christians Bücher zu produzieren. Als die Werkausgabe 2012 mit dem „Roman „Wird Zeit, dass wir leben“ gestartet wurde, lag der Vorzugsausgabe von 20 durchnummerierten Exemplaren ein farbiger Holzschnitt von Jean-Jacques bei.

Hanna Mittelstädt (Edition Nautilus)

Detlef Grumbach (Christian-Geissler-Gesellschaft)

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