Planet ohne Visum

Roman

Aus dem Französischen übersetzt und mit einem Nachwort von Nadine Püschel

Gebunden mit Schutzumschlag und Lesebändchen
664 Seiten

Erschienen September 2022

32,00 

Lieferzeit: Büchersendung (ca. 5 Werktage per Post)

Das vergessene Meisterwerk der französischen Exilliteratur – nach 75 Jahren endlich auf Deutsch

Marseille 1942, einige Monate vor der endgültigen Besetzung der Freien Zone durch die Deutschen. Der Mittelmeerhafen quillt über von Menschen, die vor dem Krieg fliehen und auf die Überfahrt nach Amerika hoffen, in eine ungewisse Zukunft. Die Stadt ist wie eine Reuse, in der die Unerwünschten und vom Vichy-Regime Verfolgten zappeln und täglich versuchen, den Spitzeln und Denunzianten zu entkommen.
Die Schicksale der Romanfiguren sind auf verhängnisvolle Weise miteinander verstrickt: Flüchtlinge, Aktivisten der Résistance, Vertreter internationaler Hilfsorganisationen, Legionäre, Devisenschieber, Mitläufer aller Art. Zum Teil sind sie angelehnt an historische Figuren wie Victor Serge, Walter Benjamin und Varian Fry, der zahlreichen Verfolgten zur Ausreise verholfen hat – darunter Jean Malaquais selbst.

Planet ohne Visum ist zugleich Agententhriller und Milieustudie, ein packendes Epos der Menschen ohne Papiere, dessen elegante Sprache und stilistischen Reichtum Nadine Püschel meisterhaft ins Deutsche übertragen hat. 1947 in Frankreich erschienen, liegt der Roman damit erstmals in deutscher Übersetzung vor.

Buchinfos

Gebunden mit Schutzumschlag, 664 Seiten

Autor und Übersetzerin

Jean Malaquais © Tino Picos

Jean Malaquais, 1908 als Wladimir Malacki in eine säkulare jüdische Familie in Warschau geboren, war Autor und Übersetzer, Kosmopolit und Marxist. Seit den 1920er Jahren in Frankreich, schrieb er auf Französisch und erhielt für seinen Debütroman »Les Javanais« 1939 den Prix Renaudot. Im 2. Weltkrieg in Kriegsgefangenschaft, schließlich Flucht über Marseille in die USA. Jean Malaquais war u.a. befreundet mit André Gide, André Breton, Max Ernst, Victor Serge, Heinrich Mann, Walter Benjamin und Norman Mailer, dessen Roman »Die Nackten und die Toten« er übersetzte. In den 1990er Jahren begleitete Malaquais die Neuausgaben seiner Werke in Frankreich; er starb 1998 in Genf.

Nadine Püschel © privat

Nadine Püschel, geboren in Starnberg, studierte Literaturübersetzen in Düsseldorf und lebt als Übersetzerin für englische und französischsprachige Literatur und audiovisuelle Medien in Berlin.

Leseprobe und Interview

»Zähl mal«, sagte er. »Jeden Tag werden es weniger. Wenn das so weitergeht, machen wir bald keine hundert Franc Umsatz mehr.«
»Pah«, machte Madame Jules und saugte mehrmals ruckartig Luft durch die Vorderzähne, zwischen denen eine Fleischfaser feststeckte. »Pah, es ist Sommer, Julot. Um die Zeit sind halt einige aufs Land gefahren.«
Schulterzuckend nahm er sich ein Stück Gruyère. Die Alte wollte es einfach nicht verstehen … Aufs Land gefahren, dass er nicht lachte! Klar, in den Camions der Polizei. Er, Jules Garrigue, wusste, was Sache war. Er hatte ihnen drei oder vier »geliefert«, auf gut Glück, musste ja sein. Hatte damit sein Soll für die Légion erfüllt, die wo einem mit ihrem Blabla über das Anti-Frankreich auf die Nerven fiel. Was denken die eigentlich, wie das Geschäft weitergehen soll, wenn sie die Gäste alle wegsperren, weil die Juden sind oder ihr Maul zu weit aufreißen oder zu den Gaullisten gehören, Politik hier, Politik da. Er seufzte und bestrich den Gruyère mit Senf. Wenn sie ihr Anti-Frankreich wenigstens zu Hause aus den Betten holen würden. Aber nein, sie müssen ihre Razzien unbedingt in den Cafés machen, dabei sind das gute Adressen, Ruhestörung, Keilerei, so was gibt’s im Fier Chasseur alles nicht.

Planet ohne Visum Leseprobe (50 Seiten)

Interview mit Übersetzerin Nadine Püschel

Pressestimmen

»Was für ein Glück, Jean Malaquais jetzt kennenzulernen! Man möchte ihn im Bücherkosmos nicht mehr missen.« Insa Wilke, Süddeutsche Zeitung

»Dieser Roman toppt alle Romane, die sich mit Marseille als Fluchtort der antinazistischen Emigration beschäftigen (…) Ich habe lange Jahre kein Buch gelesen, das mich so tief beeindruckt hat (…) Dieser Roman (…) weitet all das, was wir bisher glaubten zu wissen. (…) Es ist so, als hätte Alfred Döblins ›Berlin Alexanderplatz‹ oder John Dos Passos’ ›Manhattan Transfer‹ einen Bruder bekommen. Es ist fragmentarisch und dennoch nicht zerfasert, wie ein Novellenzyklus in verschiedenen Milieus, und in der Milieuzeichnung zeigt sich auch, was der Autor für stilistische Möglichkeiten hat, wie er vom Dialog bis zur Crime-Story, bis zum Essay, selbst bis zum Burlesken und zum Mantel-und-Degen-Stück über alle Genres verfügt, ohne dass es zum Potpourri würde, sondern es fügt sich zu einem Großstadtroman des 20. Jahrhunderts. (…) Es gibt keine Schlacken von Rhetorik, es gibt keinen Naturalismus, der ermüden würde, man spürt, man riecht dieses Marseille, man spürt und riecht die Angst, man sieht geradezu die Kollaborationsphysiognomie der Vichy-Leute und auch der kollaborierenden Intellektuellen, und man sieht oder hört die Diskussionen der Flüchtlinge, die freie Menschen sind.« Marko Martin, Deutschlandfunk Kultur

»Fest gefügte Vorstellungen von Gut und Böse, Linken und Rechten werden in Frage gestellt. Menschen, von denen man es nicht erwartet hätte, werden zu Verrätern, andere tauchen plötzlich im Widerstand auf. Gleichzeitig kann Malaquais atmosphärisch und sprachlich so lebendig erzählen, dass vor dem inneren Auge des Lesers die prekäre Welt Marseilles während der deutschen Besatzung lebendig wird.« Fokke Joel, taz

»Seit Anna Seghers ›Transit‹ hat man nicht mehr so atemlos von den Menschen gelesen, die von Verbrechern ins Exil gezwungen wurden.« Felix Müller, Berliner Morgenpost

»Auch ohne das Wissen um die historischen und biographischen Hintergründe liest sich der Roman als beeindruckendes Zeitdokument, als durchkomponiertes Gesamtkunstwerk sowie als eine Hommage an die Stadt Marseille in all ihrer Schönheit und ihren Abgründen.« Jonas Engelmann, Jungle World

»Eine zeitlose Beschreibung, was es heißt, heimatlos zu sein, unterwegs mit ausgerissenen Wurzeln, schmerzlichen Bildern der Vergangenheit und einer völlig schleierhaften Zukunft. Jean Malaquais verherrlicht das Exil nicht.« Heiko Kammerhoff, BÜCHERmagazin

»Über welche Menschenkenntnis und Stilmittel verfügt dieser in Warschau geborene Autor, wie tief und niemals didaktisch gräbt er sich in die Seele kollaborierender französischer Provinz-Notablen und diabolischer Kommissare, wie prägnant ist das seelisch Verkantete deutscher Offiziere beschrieben, wie lebendig die Dialoge, wie plausibel die Verfolgungsjagden durch die Gassen Marseilles und wie psychologisch nuanciert die inneren Konflikte seiner Heldinnen und Helden, so etwa der sprachbehinderten Marianne und der zwischen Engagement und emotionaler Bedürftigkeit wie zerrissenen Anne-Marie. Menschen, die man nach der Lektüre dieses großen, weil nie großtuenden Romans nie wieder vergessen wird.« Jüdische Allgemeine

»Auch die diversen Textsorten, die Malaquais aus dem Effeff beherrscht – Parodie, Karikatur, Satire, Slapstick, Bühnen- resp. Filmdialoge, Invektiven, Gedankenprosa, Diskurs, Tagebuch etc. – machen den Roman zu einer extrem unterhaltsamen Lektüre (für ein Werk der literarischen Avantgarde ein kostbares Gut, der die kreuzblöde Rubrifizierung nicht wegschlabberbarer Texte als „schwierig“ ad absurdum führt), ohne je seine zutiefst humanistische-demokratischen Grundhaltung aufzugeben, die sich eben nicht nur auf der Ebene der Erzählinhalte zu beweisen hat, sondern die meaning of structure konstitutiv und zwingend miteinbezieht. Deswegen gehört ›Planet ohne Visum‹ zu den ›großen‹ Romanen des 20. Jahrhunderts, ein Stück Zeitgeschichte und ein Stück Literaturgeschichte gleichermaßen, und ebenfalls mit einer Menge Anschlussmöglichkeiten im aktuellen Hier & Jetzt. Kein Museumsstück, sondern wundersamerweise thematisch und formal state of the artThomas Wörtche, CulturMag

»Was für ein wildes, modernes Buch. 75 Jahre alt. (…) ›Planet ohne Visum‹ ist ein Meisterwerk der französischen Exilliteratur, das wunderlicher Weise jetzt erst erstmals auf Deutsch vorliegt und dessen großartig flüssige Übersetzung wir Nadine Püschel zu verdanken haben. Mit diesem Juwel kann sich die Hamburger Edition Nautilus auf Jahre schmücken – echtes Verleger*innen-Herzblut.« Alf Mayer, CrimeMag

»Will man den vielschichtigen, sprachlich kreativen, von dichten Sätzen und kraftvollen Bildern gesättigten Roman partout in ein Genre pressen, dann würde noch am ehesten der Begriff Großstadtportrait zutreffen, Portrait einer Großstadt im Ausnahmestand.« Joachim Zinsen, Aachener Nachrichten / Aachener Zeitung

»Jean Malaquais war einer der großen Abenteurer der europäischen Literatur. (…) [›Planet ohne Visum‹ ist] einer der zentralen Texte über Exil, Flucht, Faschismus, der vieles, was an Literatur über diese Themen bekannt ist, in neuem Licht erscheinen lässt, teilweise sogar überstrahlt. (…) Nadine Püschels Übersetzung (…) ist wirklich ein großer Wurf, die deutsche Ausgabe ein Juwel.« Fabian Wolff, Deutschlandfunk (Büchermarkt / Buch der Woche)

»›Planet ohne Visum‹ von Jean Malaquais ist ein Buch, bei dem ich nicht lange lesen musste, um zu verstehen, dass ich ein wahrhaftes Meisterwerk in den Händen halte.« Sarah O’Connor, SZENE Hamburg

»1947 erschienen, bis zu dessen Tod 1998 in Genf vom Autor immer wieder überarbeitet, gehört das Meisterwerk von Wladimir Malacki alias Jean Malaquais wieder und wieder mit Genuss gelesen. Wenige Werke beschreiben derart gut das Frankreich unter der Besatzung, seine Feigheit, seine Spitzel, seine drückende Atmosphäre des Misstrauens. (…) Als amerikanischer Staatsbürger beherrschte dieser mit Herz und Seele Staatenlose die französische Sprache mit der Brillanz eines Rabelais der Straße. Doch leider beachtete Frankreich sein Talent erst kurz vor seinem Tod, eigentlich aber erst danach. (…) Jean Malaquais hatte nicht nur Talent, sondern Genie.« Thibaut Kaeser, Echo Magazine, Genf, 2010

»Zu den Schriftstellern, die große Weltenwanderer waren – Conrad, Traven, Cendrars –, sollten wir einen weniger bekannten Namen hinzufügen: den von Jean Malaquais. Ein Pole, der sich selbst Französisch beibrachte und 1939 den renommierten Prix Renaudot für seinen außerordentlichen autobiografischen Roman ›Les Javanais‹ erhielt, in den Himmel gelobt von keinen geringeren als Trotzki, André Gide und Pierre Herbart.« The Independent, Nachruf auf Jean Malaquais, 1999

»Dieser Roman war seiner Zeit fünfzig Jahre voraus. Es ist Zeit, ihn zu lesen.« Norman Mailer

Video und Audio

Mit der Übersetzerin Nadine Püschel auf Recherchereise zur Arbeit an »Planet ohne Visum« | Ein Film von Weltlesebühne e.V.

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