Almanach für Einzelgänger

Originalveröffentlichung
Gebunden, 208 Seiten, mit Fotos

ISBN 978-3-89401-366-0
Erschienen 2001

20,80 

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»… denn jeder ist zu verschiedenen Aufenthalten einmal ein Abseitiger …« Franz Jung

Der Einzelgänger: Man nennt ihn auch Traumtänzer und Eigenbrötler, Menschheitspionier und Selbsthelfer, Kapitän Nemo und Robinson. Hat er seinen Kopf für sich oder jagt er einer fixen Idee nach? Ist er weltfremd oder eher vernarrt ins ganz Besondere? Er mag Randgänger sein – Randfigur ist er nicht. Er ist einzeln, aber nicht einsam. Er bezaubert Zögernde und Verzagte. Wo er gängige Normen durchbricht und sich gegen das Geläufige wendet, da ist der Einzelgänger unentbehrlich für die Kräftigung der einzelnen. Karl Otten entwarf Anfang der 60er Jahre den Almanach als Übungsstücke für fremden Blick, der das Starren auf einen Punkt ablöst durch geschmeidiges Umkreisen und Wechsel der Perspektive. Es handelt sich um Texte von zwölf Autoren: Im Mittelpunkt stehen Karl Otten, Franz Jung, Otto Gross, Adrien Turel und Wilhelm Reich. Dazu gesellen sich Zeugnisse von sieben Autoren, die die Wege und Umwege der fünf als Betroffene verfolgen. Der Almanach war gedacht als Beitrag zu einer Rekonstruktion der Vorstellungswelten nach dem 2. Weltkrieg. Zum Jahr 2001 kann er endlich erscheinen. Ein Buch für wache Träumer, das den Blick schärft und den Geist geschmeidig hält.

Buchinfos

Originalveröffentlichung Gebunden, 208 Seiten, mit Fotos

Autor

Fritz Mierau

Fritz Mierau

Fritz Mierau, geb. 1934 in Breslau, Literaturwissenschaftler, Übersetzer und Essayist, lebt in Berlin. Übersetzung und Herausgabe russischer Literatur und geistesgeschichtlicher Werke wie Russen in Berlin und Die Erweckung des Wortes. Zusammen mit Sieglinde Mierau Mitherausgeber der Franz Jung Werkausgabe.

Für seine Verdienste wurde Mierau 1988 mit dem Heinrich-Mann-Preis der Akademie der Künste der DDR, 1991 mit dem Literaturpreis zur deutsch-sowjetischen Verständigung, 1992 mit der Ehrengabe der Deutschen Schillerstiftung Weimar, 1996 mit dem Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung und 1999 mit dem Karl-Otten-Preis des Deutschen Literaturarchivs Marbach ausgezeichnet.

Leseprobe

Minusio, 23. Dezember 1962

Lieber Franz Jung,
So ungern ich es tue, ich muß doch der Ordnung halber erwähnen, daß es mir die letzte Zeit garnicht gut ging, ich lag eine Woche mit diesen unerklärlichen asthmaoiden Bronchialkatarrhen, die mir die Luft abschneiden und mich denk- und arbeitsunfähig machen. Ich liege dann allen im Wege wie ein Klotz Holz und geniere mich schrecklich, während irgendein sulfuramid oder antibiotics in meinen Gedärmen stinkt.
Was aber bedeutet das alles neben Ihrem Leid, das mich deshalb so aufregt, weil ich das Gefühl totaler Verlassenheit kenne, was uns so schlecht bekommt. Sie müssen mir verzeihen, aber ich habe ein wenig panicky dem Reifferscheid reinen Wein eingeschenkt und ihn gebeten, einzugreifen, was möglicherweise Ihnen ein wenig wie action directe vorkommen mag, mir aber ganz egal ist, wenn es nur hilft.
Meine Frau sitzt, während ich an Sie schreibe, in der Küche und tippt ein Stück Geschmiere meines Romans ins Reine, sodaß es unter uns klingen muß wie die Schritte des kommenden Europas ins neue Jahr. Was uns ja einen Dreck angeht, da es ja nur ein Notbehelf der Zuchthäusler ist, die wissen wollen, wieviele Jahre sie noch zu sitzen haben, so etwa wie wir.
Ich hatte die Idee, einen Almanach für Fußgänger auf das Jahr 2001 zu machen, der einige Anekdoten enthalten wird. An denen hab ich eben getippt, da ich von einer Art nervöser Gleichzeitigkeit des Denkens gepackt bin. Ich tue ja immer sechs Dinge gleichzeitig, jetzt jedoch tue und denke ich deren bereits zehn. Und da mir meine Ellen dabei hilft, wenn auch nur unter Protest, geht manches wirklich über den Tisch, was sonst als nachgelassener Unfug vermotten würde.
Da in diesem Deutschland nichts von selber geschieht, bat ich Edschmid um die Fuhrmann Ausgabe und ein paar andere Sachen, die also gestern ankamen. Der Fuhrmann sieht sehr gut aus und wir werden ihn dieser leeren Tage anstechen. Freu mich schon sehr.
Wir wünschen Ihnen nun einen schönen und geruhsamen Aufenthalt in jenem Sanatorium, vor allem Wärme und Ruhe, damit wir uns im Frühjahr irgendwo gesund und voller Ideen und Erinnerungen wiedersehen. Alles alles Gute im Neuen Jahr

stets Ihre alten Karl und Ellen Otten.

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