Das Beste, was wir hatten

Roman

Rheingau Literatur Preis 2010

Broschierte Neuausgabe der Erstausgabe von 2009

320 Seiten

Erschienen März 2024

20,00 

Was geschieht, wenn man in der Mitte des Lebens von den politischen Ereignissen überholt wird und alles, was man bis dahin für selbstverständlich angesehen hat, ins Strudeln gerät?
Jochen Schimmang erzählt die Geschichte von Leo Münks, Verfassungsschützer, und Gregor Korff, Ministerberater. Ihre Köln-Bonner BRD-Welt gerät mit der Wende ins Wanken: Gregor erfährt, dass seine große Liebe, die ihn Mitte der Achtzigerjahre plötzlich verlassen hat, ein Stasi-Spitzel war; und Leo Münks wird ein Freund aus Berliner Studententagen, der ein Germania-Denkmal in die Luft sprengen will, beinahe zum Verhängnis. Schimmang, der Archivar der verschwindenden Dinge, hat einen klugen und sehr spannenden Roman über die letzten Jahrzehnte der Bonner Republik geschrieben.

Buchinfos

Gebunden mit Schutzumschlag, 320 Seiten

Autor

Jochen Schimmang © Eric Wolfe

Jochen Schimmang © Eric Wolfe

Jochen Schimmang, geboren 1948, studierte Politische Wissenschaften und Philosophie an der FU Berlin und lehrte an Universitäten und in der Erwachsenenbildung. Von 1978 bis 1998 lebte er in Köln, seit 1993 als freier Schriftsteller und Übersetzer. Jochen Schimmang ist heute in Oldenburg ansässig.

2010 erhielt Jochen Schimmang für seinen Roman Das Beste, was wir hatten den Rheingau Literatur Preis 2010. In der Begründung der Jury heißt es:

»Die Jury würdigt die minutiöse Bildbeschreibung, mit der die alte Bundesrepublik wiederbelebt wird – durch dichte Milieuschilderung über mehrere Jahrzehnte hinweg und die Erzählung über Figuren, die allmählich den Boden unter den Füßen verlieren. Jochen Schimmang hält den zahlreichen Büchern, die der DDR ihre Erinnerung und ihre Kritik nachtragen, einen Roman entgegen, der den Untergang auch der Bonner Republik zur erzählerischen Gewissheit macht. Eingeschlossen ist die Trauer über die Vergänglichkeit der Aufbrüche, das Verschwinden von Hoffnungen und das Verblassen von Träumen in ungemein blickgewisser Genauigkeit.«

2012 erhielt er den Phantastik-Preis der Stadt Wetzlar für Neue Mitte sowie die Künstlerstipendien der Villa Concordia in Bamberg und des Künstlerhauses Edenkoben.

»Dieser Autor ist der Meister einer Beiläufigkeit, hinter der sich die wahren Dramen verstecken.«
Andreas Platthaus

Pressestimmen

»… ein großartiges Buch, eine unaufdringliche Liebeserklärung an die alte Bundesrepublik (…).« Volker Hage, Der Spiegel

»… ein Wenderoman aus Westperspektive, der … zeigt, wie der alte Westen implodiert.« Jutta Person, Süddeutsche Zeitung 

»Die Vergangenheit … wird noch einmal beschworen, unaufdringlich und gelassen.« Sabine Peters, Frankfurter Rundschau

»… ein nostalgisch angehauchter Rückblick und die präzise beobachtete Mentalitätsgeschichte eines Landes.« Christoph  Schröder, Spiegel online

»Schimmang beherrscht die Kunst des Andeutens und langsamen Enthüllens.« Saarbrücker Zeitung

»… spannende Lektüre und ein vorwärtsgewandter Blick ….« Lilian-Astrid Geese, Neues Deutschland 

»Ein nostalgisch angehauchter, … niemals sentimentaler Rückblick und …Gegenwartsroman zugleich. « Christoph Schröder, ZEIT online 

»… ein Roman über Abschiede, über Zeiten, die sich verändern.« Buchkultur 

»… ein kleiner, anarchischer Bildungsroman der alten Art ….« Beatstories. Magazin für Literatur & Rockmusik

»… ein beeindruckendes Zeitporträt.« skug – Journal für Musik

»… eine sehr lustige, dicke Hausnummer, stilistisch reich an Zuspitzungen und schönen Beobachtungen ….« Jürgen Kionte, Jungle World

»… ein spannender und gut geschriebener Roman ….« Stephan Wackwitz, die tageszeitung

»… ein intelligenter und überaus lesbarer Gesellschaftsroman der alten Bundesrepublik ….« Michael Braun, Tagesspiegel

»…ein wunderbar taktvoller Roman.« Lennart Laberenz, literaturkritik.de

»Kurzum: Die Lektüre ist ein Genuss.« Marco Puschner, Nürnberger Zeitung

»… eine herzergreifend schöne, zum Weinen tragikomische und zugleich hochintelligente Weißt-du-noch-Fibel ….« Alexander Altmann, Lesart

»… ein Gedächtnisbuch …, eine beachtliche Generationsstudie zur 68er Revolte und ihren Nachwirkungen.« Harro Zimmermann, Deutschlandfunk Büchermarkt 

»… ein wunderbar schwereloser Empfindsamkeitston und ein bewegender Rückblick auf die alte Bundesrepublik.« Holger Schlodder, NDR Kultur 

»Eine subtile Generationsstudie zur 68er-Revolte und ihren Nachwirkungen.« Harro Zimmermann, Focus Literatur-Tipp

»›Das Beste, was er je geschrieben hat‹ ….« Insa Segebade, Ostfriesen-Zeitung

»… ein genauer Beobachter der politischen wie auch der privaten Verhältnisse und Befindlichkeiten in der Bundesrepublik.« Claus Lüpkes, SWR

»… Das Politische wird hier privat ….« Katrin Krämer, Nordwestradio (Radio Bremen), Literaturzeit 

»… ein detailreiches Panorama der deutschen Gesellschaft ….« Alexandra Klaus, Kölner Stadt-Anzeiger 

»… ein facettenreiches Bild, ein Panoptikum der verlorenen Kultur ….« Tobias Kolb, Nord-West Zeitung

Leseprobe

Kinder, dachte er, beinahe sind es noch Kinder. Jünger als Nott und ich damals. Der Junge war schlank, nicht besonders groß, wirkte aber sehr kräftig. Seine Haare waren das, was man strohblond nennt, die Augen irritierend blau. Das Mädchen erinnerte ihn ein bisschen an Reni Fuchs. Sie ballte auf eine Art die kleinen Hände zu Fäusten und presste dann die Fingerknöchel gegeneinander, wie es Reni auch oft getan hatte. Oder noch immer tat: Letztes Jahr in Maastricht, als sie Carl in Sicherheit gebracht hatten, hatte er das wieder an ihr beobachtet. Sie trug auch ihr dunkles Haar ähnlich wie Reni. Vielleicht kommt der Fransenpony wieder in Mode, dachte er.

»Seid ihr abgehauen?«, fragte er schließlich.

Der Junge schüttelte den Kopf.
»Wir wollen nur nicht, dass man unseren Schuppen entdeckt«, sagte er. »Wir gehen ganz normal zur Schule.«

Er zeigte auf die beiden Regale an der linken Wand. Gregor sah Bücher darin, Vorräte, einen Discman, auch ein paar Kleidungsstücke. An der rechten Wand stand eine kleine Liege. Gregor entdeckte in der Ecke zwei große Kanister.

»Wir haben das alles selbst gemacht hier«, sagte der Junge. »Wir wollen uns das nicht wegnehmen lassen. Sie sind der Erste, der hierher gekommen ist. Deshalb musste ich Sie durchsuchen.«

Gregor nickte; dann hörte er zum ersten Mal die Stimme des Mädchens. Es war eine volle, nachklingende Stimme, ein überraschend dunkler Glockenton, und doch klang sie so, als wolle sie ihr eigenes Volumen zurücknehmen, als spräche sie gleichsam unter Vorbehalt.

»Björn hat es nicht persönlich gemeint«, sagte sie. »Wir müssen uns schützen.« Nach einer Pause: »Wir sind Außenseiter, verstehen Sie.«

»Du bist also Björn«, sagte Gregor.

Der Junge nickte. »Kann nichts dafür, dass meine Eltern mich so genannt haben. Der Name war schwer in Mode, damals. Meine Freundin heißt Pia.«

»Björn ist doch ein schöner Name. Und Pia natürlich auch. Und warum seid ihr Außenseiter?«

»Wir sind nicht einverstanden«, sagte das Mädchen.

»Womit?«

»Mit allem. Wir sind am Rand der Gesellschaft. Und Sie?«

»Ich bin Gregor. Ich bin auch am Rand der Gesellschaft. Das heißt, bis vor Kurzem war ich mittendrin, ganz dick mittendrin, aber jetzt verliere ich vielleicht sogar meine Wohnung.«

Manchmal, während er erzählte, gab es ungläubige oder amüsierte oder zustimmende oder angewiderte Reaktionen von Björn. Als er von Carls missglücktem Anschlag berichtete, sahen die beiden sich bedeutungsvoll an. Als es um Carls Befreiung ging, mochten sie es kaum glauben. Der Junge schnaufte manchmal deutlich hörbar, und das Mädchen ballte immer wieder ihre Hände zu Fäusten und presste ihre Fingerknöchel gegeneinander. Gregor kam es vor, als habe ihm in seinem ganzen Leben noch nie jemand so aufmerksam zugehört wie diese beiden.

Er erzählte ihnen auch von seinem Borgward und seinem Haus hoch über Königswinter, von dem Abend bei Frau Mohr-Hagen und von Boris Beckers erster Sternstunde in Wimbledon. Ganz am Ende erzählte er ihnen, warum ihn der Schuppen so neugierig gemacht hatte, und dass er vor mehr als dreißig Jahren mit einem Freund zusammen ebenfalls einen solchen Schuppen entdeckt und eingerichtet und gehütet hatte vor neugierigen Blicken.

»Und das ist alles wahr?«, fragte Pia, als er geendet hatte. »Nichts an der Geschichte ist erfunden?«

»Ja, das ist alles wirklich passiert.«

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